hr1-Moderator Werner Reinke blickt mit einem sehr persönlichen Brief an seine Hörer und Hörerinnen auf das Jahr 2022 zurück. Dazu spielt er weiterhin die vielen Musikwünsche seiner Fans und bittet Sie nach wie vor um Ihre Unterstützung für die Ukraine.

Liebe "Reinke-am-Samstag"-Hörer,

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Hier können Sie Werner Reinkes Brief an seine Hörer*innen auch runterladen.

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das Ende eines Jahres verleitet immer zu Rückblick und Ausblick. War es für die Menschheit ein schönes Jahr? Für meine Familie? Für mich ganz persönlich im Beruf wie im Privaten?

Da fällt im Urteil der meisten von uns das Jahr 2022 wahrscheinlich durch. Corona, Inflation, Energiekrise. Und über allem: Der Ukrainekrieg. Ein "Annus horribilis", so hätte es wohl Königin Elisabeth II. wieder mal genannt, ein „schreckliches Jahr“. (Auch die Queen ist nicht mehr unter uns. Die Welt vermißt sie, wir vermissen sie).

Warum ich das alles schreibe, just in diesem Jahr? Weil es für das Redaktionsteam von "Reinke am Samstag", namentlich meine Frau Lidia Antonini und mich, bei all dem Horror doch ein besonderes, ein herausragendes Jahr war. Und das liegt an Ihnen. Deshalb schreibe ich Ihnen jetzt.

Stellen Sie sich mal vor: Sie sitzen am Computer und bearbeiten Textblöcke. Ein solcher Block besteht aus: einer Zahl, einem Datum, einer Uhrzeit, einer Namensangabe und einem freien Text.

Ihre Aufgabe ist es, per Copy/Paste diesen Textblock vermittels neuer Tabulatoren so zu bearbeiten, daß fünf Spalten entstehen. Denen geben Sie die Überschriften "Betrag", "Datum", "Uhrzeit", "Spitzname" und "Nachricht". Diese fünf Spalten erweitern Sie um "Titel" und "Interpreten" und übertragen alles in eine Datenbank. Die hat noch etliche weitere Spalten, die später gefüllt werden. Und diese ganze Aufgabenfolge erledigen Sie fast zehntausendmal. Wie langweilig, wie nervtötend.

Und wie unglaublich erfüllend wird genau diese Aufgabe, wenn sich unter der Spalte "Betrag" eine Spendensumme verbirgt, unter "Spitzname" der von den Spendern gewählte Absendername und unter "Nachricht" alles, was die Spenderin oder der Spender zum Ausdruck bringen wollte. Das Gegenteil von nervtötend, das Gegenteil von langweilig. Jeder einzelne Eintrag ist der Beleg für die Großherzigkeit, die Empathie, das Mitgefühl von "Reinke-am-Samstag"-Hörern.

Rückblick

Am 24. Februar begann der Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine. Ein Schock auch für Lidia und mich. Sofort war uns klar: Die Redaktion der leichtfüßigen musikjournalistischen Sendung "Reinke am Samstag" kann nicht zur Tagesordnung übergehen.

Die beiden nächsten Sendungen bestanden aus einer Johnny-Cash- Sondersendung zu dessen neunzigstem Geburtstag am 26. Februar und einer Sendung mit reiner Instrumentalmusik am Samstag drauf. Der Beschluß, Musikwünsche gegen Spenden für die Ukraine-Kriegsopfer zu erfüllen, war frühzeitig gefaßt, die administrativen Hürden waren bis zum 12. März genommen, es konnte also losgehen.

Was in und zwischen den Sendungen danach passierte, macht Lidia und mich noch heute fassungslos.

Unser Plan vor dem 12. März war konservativ: Wenn alle drei Minuten während der Sondersendung beispielsweise 20 Euro gespendet werden für einen Musikwunsch, hätten wir immer drei Minuten Zeit, um den nächsten Songwunsch zu erfüllen. Will sagen: Aus dem Archiv in die Sendung ziehen, anmoderieren, zu weiteren Spenden aufrufen, Musik spielen, nächsten Titel aus dem Archiv….usw. usw. Wir hätten also ca. 35 Wünsche gebraucht, um eine ganze Sendung zu füllen. 35 Hörer, die zwanzig Euro spenden, macht 700 Euro für die ukrainischen Kriegsopfer. Darf man soviel erhoffen?

Und dann: Die Livesendung. Eine einzige Explosion der Barmherzigkeit in der RaS-Hörerschaft! Allein in der Netto-Zeit zwischen 9:00:02 Uhr und 11:59:46 Uhr liefen auf dem Spendenkonto der "Aktion Deutschland hilft" 2046 Spenden ein im Gesamtwert von 195.318,21 Euro. Also nicht etwa wie erhofft 20 Euro pro drei Minuten, sondern 18,08 Euro PRO SEKUNDE!

Und es hörte nicht auf. Weiter, immer weiter, wurde gespendet. Schnell wurde klar: Es mußte ein Einsendeschluss für Wünsche her, wenn wir unser Versprechen halten wollten. Der 2. April sollte es sein, mittags zwölf Uhr. So geschah’s.

Bis zum Einsendeschluss wurden wir weiter geflutet mit Musikwünschen. Da, wo man die Hände überm Kopf zusammenschlagen könnte und in Verzweiflung fallen ("Wie sollen wir das alles schaffen, um Gottes willen!"), standen wir total beglückt da und beobachteten unsere Hörer, wie sie mehr und mehr und immer mehr einzahlten und wünschten. Klar war: Wir werden eine mittlere Ewigkeit brauchen, um die Wünsche zu erfüllen. Klar war aber auch: Wir werden unser Wort halten, so gut es irgend geht. Ein paar Wünsche werden inhaltlich unerfüllbar sein, ein paar der gewünschten Lieder werden wir nicht finden, aber alles andere wird gespielt!

Und dann die Grüße, die Tag für Tag mit den Spenden zusammen übermittelt werden: Verzweiflung über die politische Lage, aber auch Hoffnung auf bessere Tage, Zeichen des Einverständnisses mit unserer Aktion, ja, sogar - um ein Wort aus dem Fußballsport zu benutzen - "Rudelbildung". Viele Spender empfinden sich als Mitglieder einer verschworenen Gemeinschaft, die sich unregelmäßig beim Spendenformular trifft und meldet: Da bin ich wieder, ich habe Euch nicht vergessen!

Weit über 9500 Spenden sind inzwischen eingegangen. Knapp 700.000 Euro kamen zusammen, solange Musikwünsche zugelassen waren. Und über 500.000 Euro seitdem auch ohne jeglichen Musikwunsch, ohne jegliche zu erwartende Gegenleistung. Pure Großherzigkeit. Das ist es, was Lidia und mich immer wieder sprachlos staunen läßt.

Ausblick

So lange in der Ukraine der Krieg andauert, werden wir weiter Spenden sammeln. Inzwischen gibt es hier und da liebevolle Hörerzuschriften, die sagen: "Ich vermisse die herkömmliche Sendeform mit den musikjournalistischen Inhalten, die Lidia Antonini so wunderbar zusammenstellt. Mit Studiogästen, mit musikalischem Schnickschnack. Eben ‚Reinke am Samstag‘".

Das kann ich gut verstehen. Auch Lidia sehnt sich zurück nach dem spannenden Leben einer leidenschaftlichen Musikredakteurin, die nicht nur vorgegebene Titel so ordnet, daß sie eine unterhaltsame Sendung ergeben.

Aaaaber: Die Kommentare sind überwiegend äußerst positiv, und das ganz besonders wegen der von den Spendern gestalteten Abwechslung in der Musik. Von der Kelly Family bis Anthrax, von ABBA über Reinhard Mey bis ZZ Top ist alles dabei.

Und der wichtigste Punkt: Natürlich werden wir die Hörer nicht ignorieren und enttäuschen, die mit heißem Herzen gespendet und vor dem 2. April ihren Musikwunsch geäußert haben. Wir haben’s zugesagt, und wir spielen’s. Das wird noch eine Weile dauern. Irgendwann wird allerdings der Punkt erreicht sein, an dem die verbliebenen Wünsche nicht mehr zu einer vertretbaren, will sagen unterhaltsamen Mischung kombiniert werden können. Dann folgt der sanfte Übergang zu einer "Hybrid-Sendung". Teils wie Sie es von früher kennen, mit Interviewteilen, mit Kommentaren zu Entwicklungen der Popmusik usw. Und der andere Teil wird aufgefüllt mit Spender-Wünschen.

Wann das soweit ist? Nun, teils haben wir es schon geliefert, bei den Sondersendungen zum Tod von Jerry Lee Lewis und Chistine McVie zum Beispiel, oder zum 80. Geburtstag von Paul McCartney. Und solche Sendungen werden jetzt langsam weiter eingestreut. Aber: Je früher wir damit beginnen, desto länger wird die Wunscherfüllung erhalten bleiben. Das Ziel bleibt bei uns aber immer dasselbe: Allen Hörern Freude machen. Sie haben es so sehr verdient.

Zu wissen, ja, direkt ablesen zu können, daß eine so große Menge von "Reinke-am-Samstag"-Hörern so wunderbare Menschen sind: Das macht das Jahr 2022, mein 54. Berufsjahr, zum schönsten Jahr meiner Radiolaufbahn. Wenig getan und sooo viel bekommen.

Von ganzem Herzen ein tiefempfundenes Danke, liebe Freunde!

Ihr/Euer Werner Reinke Frankfurt, Silvester 2022

Hier finden Sie die Playlist der Sendungen "Reinke am Samstag"